“Theaterpädagogik definieren ist gefährlich”, warnten Stimmen
ob der Komplexität des Themas. “Theaterpädagogik diskutieren
bringt die Fachleute zusammen”, bewies eine illustre Runde aus 40 (inter)nationalen
Expertinnen und Spezialisten aller Theaterbereiche. ”In Österreich
Theaterpädagogik studieren ist schon in naher Zukunft möglich”,
titelt die erfreuliche Perspektive einer Enquete im Schloss Zeillern (7./8.
Mai 2000).
Drei Ziele nannte Mag. Ewald Polacek, der als Vorsitzender des Österreichischen
Institutes für Theaterpädagogik zu diesem Meeting geladen hatte:
Die Installierung einer Theaterpädagogikausbildung in Österreich
und ihre Etablierung auf verschiedenen Ebenen; die Vernetzung der theaterpädagogischen
Arbeit, um die Anliegen gegenüber Institutionen vertreten zu können;
und gemeinsame Fortbildung. Er dankte dem Unterrichtsministerium
mit Ministerialrat Dr. Alfred Fischl und Ministerialrat Dr. Johann Walter,
sowie Christine Pfeiffer und Melitta Macho für die Organisation.
Zunächst standen Referate über Erfahrungswerte mit Theaterpädagogik(ausbildung)
auf der Tagesordnung:
· Peter Galka, Vorsitzender des Bundesverbandes Theaterpädagogik
in Deutschland und Leiter des kommunalen Kindertheaters Stuttgart:
Der BUT (Bundesverband Theaterpädagogik) ist Mitglied in zwei
Dachverbänden (BKJ=Bundesverband kultureller Jugendbildung und Bundesarbeitsgemeinschaft
Spiel und Theater). Entstanden aus dem Wunsch über den eigenen Tellerrand
hinauszusehen, in Erfahrungsaustausch zu treten und eine politische Interessensvertretung
zu bekommen, umfasst er 50 Institutionen von Profis und Amateuren, den
soziologischen und kulturellen Bereich bis zur Erwachsenenbildung.
Ziele sind die Förderung der Theaterpädagogik, ein bundesweites
Netz, Aus- und Weiterbildung sowie Forschung und Lehre. Die Bundestagung
im Oktober und eine Frühjahrstagung sind fixe Jahrestreffen, ergänzt
durch einzelne Fachtagungen und Festivals, z.B. das Theaterfestival für
Jugendliche „Jugendclubs an Theatern”. Das eigene Fortbildungsprogramm
ergibt einen ständigen Qualifizierungsprozess, immer in Koordination
mit örtlichen Partnern. Die internationale Begegnung “Eurovisionen”
anlässlich der Bundestagung im Oktober 1999 vereinte 12 europäische
Länder im “Theater im Zentrum” in Stuttgart. Die Ausbildung zum Theaterpädagogen
wuchs im Zeitlupentempo, allmählich wurden Rahmenbedingungen für
ein Ausbildungsprofil geschaffen: 600 Stunden Grundausbildung und 1100
Stunden Aufbau, am Ende wartete ein BUT-Theaterpädagogikzertifikat.
Neu ist nun, dass eine Bildungskommission ein Zertifikat-Anerkennungsverfahren
vornehmen wird. Die inhaltliche Auseinandersetzung erfolgt in den Ausschüssen
(z.B. Theaterpädagogik an Theatern; Ausschuss für Auszubildende
aus Sicht des Studierenden). Bundestreffen sind immer Arbeitsbegegnungen,
eine Jury reist durchs Land und lädt sechs Gruppen ein: wichtig sind
ihre Arbeitsweisen, die Themenwahl oder das Genre. Bis zu 200 Teilnehmer
sehen einander, haben gemeinsame Workshops und fahren mit neuen Ideen nach
Hause. Die Frage, wo man Theaterpädagogik zuordnen soll, taucht immer
wieder auf, wichtigste Antwort: sie soll eigenständig bleiben.
· Heidi Troi, Theaterpädagogin in Brixen:
Das TPZ Brixen ist eine Frucht des Lehrganges “Angewandte Theaterpädagogik”,
den es seit 1994 gibt, mit einem theoretisch-praktischen Teil aus 550 Fortbildungsstunden
über zwei Jahre (10 Wochenenden und zwei Wochenblöcke) und einem
Praxisteil samt zu dokumentierendem Praxisprojekt und Spielprojekt. Die
Referenten kommen vom Züricher Schauspielhaus. Das Zertifikat bestätigt
den “Fachberater für Theaterpädagogik”. In Südtirol existiert
noch kein Aufbaulehrgang für Diplompädagogik, aber an den Hochschulen
soll eine Fachrichtung für Theaterpädagogik angegliedert werden.
Apropos: Jeder Teilnehmer zahlt ca. 25 000 Schilling für den Lehrgang
aus eigener Tasche.
· Dr. Sieglinde Roth, Theaterpädagogin am Landestheater
Linz, berichtete über die Hochschule der Künste in Berlin, wo
im Institut für Spiel- und Theaterpädagogik seit 1980 ein Vollstudium
und ein Berufsbegleitendes Studium angeboten werden; 1997 wurde das
Institut dem Fachbereich Theater angegliedert: sozusagen von der Pädagogik
zur Kunst – aus Strukturmaßnahmen. Das Vollstudium ist ein viersemestriger
Aufbaustudienlehrgang, Hochschulabschluss ist also Voraussetzung. Die Zulassungsprüfung
dauert für das Vollstudium drei Tage, für das berufsbegleitende
einen Tag. Auf Gruppenerfahrung wird viel Wert gelegt. Das Vollstudium
beginnt mit einer Art Schauspielgrundausbildung, im 1. Semester steht in
Teamarbeit ein Schulprojekt, in dem es Inhalte und Methoden abzuwägen
gilt. Theorie bleibt noch im Hintergrund, die Lehrveranstaltungen im Praxisteil
sind geblockt, eine Woche Bewegung, dann Atem und Stimme, Improvisation,
und am Mittwoch: Wahlfächer. Im 3. Semester müssen alle in einem
gemeinsamen Theaterprojekt spielen, dann wird von jedem Studenten ein eigenes
Projekt verlangt, das selbst zu organisieren ist. Der Sommer gehört
der Hausarbeit und der Vorbereitung auf eine 45minütige Prüfung.
Im berufsbegleitenden Lehrgang gibt es keine vorgeschriebenen Fächer
und weniger Stunden, jeder sucht sich, was er braucht. Auch das Zertifikat
ist hier anders.
· Claudia Bühlmann, Theaterpädagogin, Regisseurin,
arbeitet in der Ausbildung von Schauspielern:
Studienabschluss 1993 an der Spielstatt Ulm (heute: Akademie für
darstellende Kunst), einer Berufsfachschule mit Öffentlichkeitsrecht.
Die Vollzeitausbildung dauert viereinhalb Jahre (4 Jahre Schule, ein halbes
Jahr Berufspraktikum). Schauspieler, Dramaturgen, Regisseure und Theaterpädagogen
studieren gemeinsam in einer Klasse, das Lehrerteam ist international und
bringt viele unterschiedliche kulturelle Einflüsse mit – die besten
Voraussetzungen für bunte Bühnenerlebnisse. Eine dreitägige
Aufnahmsprüfung (eine Szene darf vorbereitet werden, die anderen Aufgaben
sind spontan zu lösen) öffnet die Türen in dieses zweiklassige
Grundschuljahr (40 Absolventen).Allgemeiner Ensembleunterricht und vier
szenische Blocks am Nachmittag (freie Improvisationen und Gruppenimpros,
Arbeit mit Objekten, sphärische Arbeit, Körperblocks) füllen
die Tage, drei Unterrichtsphasen und 3 Projektphasen (6-8 Wochen) kennzeichnen
jedes Jahr. Nach dem Grundschuljahr wartet die Übertrittsprüfung,
die ein Bewerbungsschreiben für den Studiengang mit freier Präsentation
beinhaltet. 15 Studenten schafften den Eintritt ins dreijährige Hauptstudium.
Am Lehrplan: Körpertraining, Sprechunterricht, Spezialunterricht (Psychologie,
Pädagogik, Didaktik, Regie), wieder in Blöcken mit dem Zusatz
“Anthropologie”, weiters Improvisations- und Szenenstudien (z.B.: Theaterpädagogisches
Projekt “Clown”). Im 3. Studienjahr kam das Lern- und Forschungstheater
zur Ausbildungsstätte dazu, Schwerpunkt war Kinder- und Jugendtheater
mit der Erarbeitung eines schulübergreifenden Theaterstückes.
Im 4. Jahr verlangte eine Szenenrevue verschiedene Aufgabenstellungen (Requisiten,
Licht, Öffentlichkeitsarbeit). Eine Tournee und die Arbeit im Kinder-
und Jugendtheater folgte dem Ende des Spielstatt-Studiums.
· Univ. Prof. Dr. Wolfgang Greisenegger, Dekan der Human- und
Sozialwissenschaft / Institut für Theater, Film und Medienwissenschaft;
Univ. Prof. Dr. Ulf Birbaumer, Universität Wien, Institut für
Theaterwissenschaften:
Über die Möglichkeiten der Theaterpädagogik in Österreich:
Bisher waren die Theaterwissenschaften ein normales Uni-Studium, das zum
Doktorat führte, mit Haupt- und Nebenfach. Ab 2002 wird es nur mehr
ein Einfachstudium geben, der Uni-Plan muss also umgebaut werden. Die Frage
ist: Wie soll dieses neue Studium in Universität und Gesellschaft
verankert werden? Das Institut für Theaterwissenschaft, in Wien
seit 1942, heißt nun “Institut für Theater, Film und Medienwissenschaft”
in der Human- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Einerseits geisteswissenschaftliches
Gebiet mit starker sozialwissenschaftlicher Komponente, umgeben von Soziologie,
Politologie und Naturwissenschaft bedeutet immer verschiedene Zugänge
zu einem Problem. Dieses Umfeld bedingte Offenheit gegenüber verschiedenen
Theorien und im Lehrbetrieb, gerade auch in der Theaterausbildung. Das
Studium an der Universität ist Berufsvorbildung, nicht –ausbildung,
tatsächliche Praxis gibt es nur in geringem Maße, alleine schon
wegen der hohen Studentenzahl (ungefähr 2300), es gibt sie aber, oft
in begleitenden Veranstaltungen. 4 Professoren, acht Assistenten und 60
Lehrbeauftragte aus aller Welt und Praxis erteilen den Unterricht. Lehraufträge
bereichern das Studium bezüglich praktischer Arbeit, sie bringen Kinder-
und Seniorentheater, Maske, Bühnenbild, Märchenerzähler
und Rituale genauso ins Spiel wie das Theatermanagement oder das Gemeindehoftheater.
Im neuen Konzept könnte verstärkt die Praxisarbeit hereingeholt
werden, eventuell in Verbindung mit Partnern ein neuer Lehrgang erstellt
werden, der die veranstaltende Verantwortung an der Uni belässt, ihre
Infrastruktur nützt und neue Impulse für praktische Ausbildung
von außen einbringt. Ein Angebot an das Umfeld des Instituts für
Theaterpädagogik? Ein Universitätsdiplom wäre Schlusspunkt
dieses zweijährigen Lehrganges.
Mag. Ewald Polacek dankt für dieses Offert und verweist auf die
Vorschläge der bevorstehenden drei Arbeitskreise am folgenden Montag.
Deren Ergebnisse: Gemeinsam mit der Universität Wien startet das Institut
für Theaterpädagogik einen Hochschullehrgang, dessen Referenten
vom Institut für Theaterpädagogik mitbestimmt werden. Bezüglich
Vernetzung erging vom Unterrichtsministerium der Auftrag ans Theaterpädagogische
Institut, alle theaterpädagogischen Aktivitäten zu erfassen und
eine permanente Homepage zu erstellen. Die nächste Tagung wird im
Jahre 2001 in Salzburg stattfinden.
Text: Gust Brandstetter |